Als die älteste und drittgrößte muslimische Religionsgemeinschaft in Deutschland betrachten wir es als unsere religiöse und gesellschaftliche Pflicht zu den aktuellen politischen Entwicklungen, die weitreichende Konsequenzen für die Gesellschaft und die Zukunft Deutschlands haben werden, wie folgt Stellung zu nehmen:

  1. Aufrüstung der Bundeswehr und „Kriegstüchtigkeit“
    Ein Großteil der aktuellen politischen Diskussion dreht sich um die Frage der sogenannten „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands, für die die Bundeswehr aufgerüstet werden soll. Wir betrachten die Abwendung des öffentlichen Diskurses von Friedenspolitik zur Aufrüstung und Kriegsrhetorik mit wachsender Sorge. Dies steht im eklatanten Widerspruch zu den Werten einer friedensorientierten Gesellschaft. Die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands muss gewährleistet sein. Die dafür nötigen Investitionen sind zu begrüßen. Unser Ziel sollte jedoch nicht eine neue Aufrüstungsspirale und Kriegsdialektik sein, sondern Diplomatie und Friedenspolitik. Diese Gewichtung muss sich auch im politischen Diskurs widerspiegeln. Es sollte auch untersucht werden, warum Ausgaben in Höhe von rund 500 Milliarden für Verteidigung in den letzten zehn Jahren nicht zum jetzt erwünschten Ergebnis geführt haben.
    Kriege dürfen nicht das Recht des Stärkeren untermauern. Deshalb ist mehr als je zuvor notwendig, das internationale Recht in Zusammenarbeit mit anderen Ländern der Welt zur Geltung zu verhelfen. Militärische Lösungen und Waffenexporte verschärfen globale Spannungen und gefährden die Sicherheit aller Menschen langfristig. Wir fordern eine Rückbesinnung auf diplomatische Initiativen und Krisenprävention.
    In diesem Zusammenhang betrachten wir die Ankündigung des Kanzlerkandidaten der CDU, Herrn Merz, als falsch und nicht mit dem internationalen Recht vereinbar, gegen den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) zu verstoßen und den für mögliche Kriegsverbrechen per Haftbefehl gesuchten Ministerpräsidenten Israels nach Deutschland einzuladen. Das ist nichts anderes als die Aushöhlung des Rechts und ein Bruch des römischen Status, den Deutschland ratifiziert hat. Der Kanzlerkandidat macht hier genau das, was er Ländern wie Russland vorwirft. Die Entscheidungen der Gerichte müssen in einem Rechtsstaat respektiert und befolgt werden. Man darf nicht für das internationale Recht eintreten, wenn es einem Passt und ignorieren, wenn es einem beliebt.
  2. Investitionen in Bildung und Infrastruktur
    Schulden in solcher Höhe sind auch eine Belastung künftiger Generationen. Deshalb sollten sie mit Bedacht und nur in absolut notwendigem Umfang aufgenommen werden. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind schon jetzt unübersehbar und haben zum stärksten Anstieg der Renditen deutscher Staatsanleihen seit Jahrzehnten geführt! Deutschland braucht nachhaltige Investitionen in die Infrastruktur, Bildung und das Gesundheitswesen.
  3. Familienpolitik in den Fokus rücken
    Dass Familienpolitik im Sondierungspapier auf dem drittletzten Platz landet, spricht Bände. Die Politik muss umfangreiche gesellschaftspolitische Maßnahmen ergreifen, um Paare wieder dazu ermutigen, mehr Kinder zu bekommen – denn Kinder sind unsere Zukunft.
  4. Integration und Asyl: Chancen nutzen, Grundrechte wahren
    Wir begrüßen grundsätzlich Maßnahmen zur Steuerung der Zuwanderung, um sowohl den Zugewanderten als auch den Aufnehmenden gerecht zu werden. Deutschland ist ein weltoffenes Land und auf Zuwanderung angewiesen. Populistische Ausfälle mit fremdenfeindlichem Charakter, wie jüngst von verschiedenen Politikern zu vernehmen, sind unmoralisch und inakzeptabel. Sie führen zur Spaltung in der Gesellschaft und stehen gegen die Interessen Deutschlands. Wir benötigen weitere Maßnahmen zur Integration der Zuwanderer. Empathie und Unterstützungsbereitschaft für Menschen in Gefahr ist eine moralische imperative für unsere Gesellschaft. Das Asylrecht ist daher ein hohes, zu schützendes Gut – es darf nicht ausgehöhlt werden. Ebenso halten wir das pauschale Ende von Aufnahmeprogrammen für falsch. Auch hier sollte international abgestimmt gesteuert werden.
  5. Muslime – Eine Bereicherung für Deutschland
    Es ist bedauernswert, dass die über sechs Millionen Muslime, die rund 7% der Bevölkerung ausmachen, im Sondierungspapier nicht einmal erwähnt werden. Muslime sind ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Ihre Religion verbindet sie aufrichtig mit der Gemeinschaft und ermutigt sie, ehrliche, nützliche und verantwortungsbewusste Bürger zu sein.
    Wir fordern die Unterstützung von muslimischen Wohlfahrtsorganisationen und die Einbindung der Islamverbände im politischen Diskurs und Entscheidungsfindung. Wir vermissen ein klares Bekenntnis zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung. Insbesondere antimuslimischer Rassismus ist ein wachsendes Problem in Deutschland. Wir fordern die Parteien auf, die vom Expertengremium des BMI vorgeschlagenen Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus umzusetzen. Ebenso fordern wir die Erweiterung des Demokratiefördergesetzes zur besseren Unterstützung von interkulturellen und interreligiösen Projekten.
  6. Soziale Gerechtigkeit
    Keine Gesellschaft kann immer wachsende soziale Spannungen aushalten. Dem entgegenzuwirken sind aktive Maßnahmen notwendig, damit die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Wissen und Unwissen nicht überhandnimmt. Eine gerechtere Steuerpolitik, Verteilung der Kompetenzen, Transparenz und Unterstützung für ärmere Schichten der Gesellschaft sind dafür notwendig. Das Sondierungspapier lässt die Notwendigkeit einer gerechteren Steuerpolitik vermissen. Wir fordern eine Steuerpolitik, die soziale Ungleichheiten reduziert sowie die stärkere Besteuerung hoher Vermögen zur Finanzierung sozialer Projekte.

Fazit
Während der schnelle Konsens der Parteien zu begrüßen ist, bleiben zentrale gesellschaftliche Fragen unzureichend adressiert. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat appelliert an die Protagonisten, Friedensförderung, sozialen Zusammenhalt und Verfassungstreue ins Zentrum zu rücken.

 

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