Reinigung von Körper und Geist
Dies ist ein Nachdruck eines Artikels von Dr. Yahya Hassan Bajwa welches in Juni 1996 Ausgabe der Zeitschrift „Der Islam“ erschien. Zum ersten Mal erschien der Artikel in der NZZ vom 20 Februar 1996. Dr. Yahya Hassan Bajwa ist außer seiner Dozententätigkeit an verschiedenen Hochschulen für interkulturelle Kommunikation zurzeit auch der Sekretär für auswärtige Angelegenheiten der Ahmadiyya Muslim Jamaat Schweiz.
„O die ihr glaubt! Fasten ist euch vorgeschrieben, wie es denen vor euch vorgeschrieben war, auf dass ihr euch schützt.“ (2:184)
In der Stadt Zürich leben 10.000 Muslime, das sind rund 3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Eine der fünf Pflichten für jeden Muslim ist – neben dem Glauben an die Einheit Gottes, dem täglichen fünfmaligen Gebet, der Armensteuer und der Pilgerfahrt nach Mekka – das Fasten während des islamischen Fastenmonats Ramadan. Er beginnt mit der Sicht des Neumondes, diese Jahr am 21. bzw. 22. Januar, und dauert 30 Tage. Millionen von Muslimen fasten von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang. Die fastende Person enthält sich tagsüber des Essens und Trinkens sowie der sexuellen Beziehung. Auch das Rauchen ist verboten. Vom Fasten sind Kranke, Alte und Kinder, Personen auf Reisen sowie schwangere und stillende Frauen und Frauen, die ihre Periode haben, ausgenommen. Sie können die versäumten Tage nachholen. Betagte, die aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nicht mehr fasten können, sollen für die Mahlzeit einer armen Person aufkommen, sofern sie dies finanziell vermögen.
Nähe zum Schöpfer
Das Fasten ist keine neue Erfindung des Islams. Diese Pflicht ist in den meisten Religionen, besonders in den drei Buchreligionen, anzutreffen. Die Pflicht des Fastens wurde erst nach der Auswanderung der Muslime aus Mekka nach Medina im Jahr 622 eingeführt. Mit der Hijra, der Emigration, beginnt die islamische Zeitrechnung. Dadurch, dass sich der Kalender nach dem Mond und nicht nach der Sonne richtet, wandern die Monate des islamischen Kalenders jedes Jahr um einige Tage […] Infolge der Verschiebung der Fastenzeit wird ein Muslim in seinem Leben zu verschiedenen Jahreszeiten fasten […] Der Monat Ramadan spielt im Islam eine große Rolle; es ist der Monat, in dem nach islamischem Glauben die Offenbarungen Gottes zu Mohammad in der Höhle Hira bei Mekka begannen. In der Nacht des Schicksals, der Lailat Al-Qadr, begann Gott sich Mohammad zu offenbaren. Dies ist auch die Nacht, in der nach der Überlieferung die Bitten erhört werden.
Das Fasten im Ramadan hat mehrere Aspekte, die für den Glauben und die islamische Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Die Fastenzeit hat eine reinigende Wirkung auf den Geist und den Körper; man hat den gesundheitlichen Aspekt des Fastens längst auch im Westen wieder erkannt. Die gläubige Person konzentriert sich auf Gott. Das eigentliche Zeil es Fastens ist es, die Menschen durch Enthaltsamkeit näher zu ihrem Schöpfer zu bringen. Während der Fastenzeit wird dem Beruf nachgegangen, aber man versucht, sich intensiver auf die moralischen und geistigen Werte zu konzentrieren. Wichtig sind dabei das Koranstudium und die zusätzlichen Gebete. Im Ramadan wird ein spezielles Abendgebet: das Tarawih-Gebet, in der Moschee verrichtet. Der Vorbeter versucht, in einem Monat den ganzen Koran zu rezitieren.
Eine moralische Herausforderung
Das Fasten ist eine moralische Herausforderung für den Fastenden. Die Enthaltsamkeit in Bezug auf das Erlaubte und vor allem auf das Verbotene festigt die Moral. Der Geist widersetzt sich dem körperlichen Verlangen nach Speise und Trank. Einen Monat lang fasten lehrt uns, dass nicht das Verlangen, der Appetit, uns leiten darf, sondern der Geist. Das Fasten hat auch einen wichtigen sozialen Aspekt, der ebenfalls durch das gemeinsame Gebet erreicht wird. Arm und Reich aus dem selben Quartier kommen zusammen und besten in der Moschee, Seite an Seite, ohne das der Reichtum einen Einfluss hat. Im Monat Ramadan sind alle gleich, denn alle erdulden Hunger und Durst.
Im Monat Ramadan werden auch sich sonst „liberal“ gebende Muslime strenggläubig. Sie verzichten auf ihr tägliches Bier, das eigentlich im Islam verboten wäre. Er sich im Fastenmonat Ramadan richtig verhält, wird nicht nur den Geist, sondern auch seinen Körper stärken. Für viele Muslime ist der Ramadan jedoch auch die Zeit, in der besonders viel in der Nacht gegessen und gefeiert wird. In einigen islamischen Ländern wird sogar ein spezielles TV-Nachtprogramm mit Theateraufführungen und Spielfilmen gezeigt. Den Muslimen ist es noch nie gelungen, im selben Land oder auch nur in derselben Stadt mit der Fastenzeit gleichzeitig zu beginnen. Das führt dazu, dass auch das Abschlussfest, das Id-ul-Fitr, um einen Tag verschoben ist. Dies hängt von der Glaubensgruppe ab. Viele Muslime geben sich der Illusion der Einheit hin. Im Islam gibt es sie nicht. In den letzten 1.400 Jahren ist es den Muslimen nicht gelungen, diese Einheit zu verwirklichen, und die Chancen scheinen heute auch nicht besser zu sein.